„Alder! Du kannst misch mal. Du Abfackär, Du!“
Für einen kurzen Moment dachte ich, der Taxifahrer, der gerade meinen Koffer den Wagen lud, würde auf seinen wüst schimpfenden Kollegen losgehen. Der stand vier Meter von uns entfernt auf dem Bürgersteig vor dem frankfurter Hauptbahnhof. Die Arme in die Hüften gestemmt, beschuldigte er meinen Taxifahrer, mich vor dem Hauptbahnhof abgefangen zu haben. Statt in der Taxischlange zu warten. Wie alle anderen.
Als wir der unangenehmen Situation endlich davon fuhren, begann mein Taxifahrer zu wettern. Es gebe einfach zu viele Taxen in Frankfurt. Und in breitem Frankfurter Akzent fügte er hinzu: „Das is Kriesch. Da mußte fresch sein, sonst wörste abgehängt. Isch hab halt ne anner Schtrategie als zu Warte“.
Gut, ich bin mir nicht sicher, ob die Strategie sukzessive alle Taxifahrer gegen sich aufzubringen langfristig erfolgreich ist. Das Grundproblem „Zu viele Taxis in Frankfurt“ passte hingegen ganz gut zum Grund meines Besuchs in der Main-Metropole.
Vom 1-3 Juli habe ich das Content Strategy Forum besucht. Drei Konferenztage, die sich darum drehten, wie Unternehmen Inhalte strategisch einsetzen können. Um ihren Service zu verbessern. Um Kundentreue zu erhöhen oder um mehr Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Und als E-Plus CMO Jürgen Rösger den Mobilfunk-Markt erklärte, musste ich sofort wieder an die Taxisituation denken: Zu viele Anbieter auf kleiner Fläche. Zu viele Fische im Teich.
Und wie mein Taxifahrer setzt E-Plus auf eine andere – wesentlich schlauere – Strategie, um Kunden abzufangen. Statt sich allein auf laute Werbeschlachten mit den Wettbewerbern zu konzentrieren, hat das Unternehmen mit curved ein digitales Magazin für mobilen Lifestyle aus dem Boden (Und zwar so) gehoben. Curved informiert jetzt die Generation Smartphone über neuste Trends und weckt so Lust auf neue Gadgets. Mit dem Magazin hat sich die Marke einen eigenen „Taxistand“ geschaffen, ganz in der Tradition des Guide Michelin . Seit 1900 soll dieser Autofahrer mit Restaurant-Tipps zu Ausflugsfahrten motivieren, um letztlich den Bedarf an Reifen zu erhöhen.
Die richtige Story, zur richtigen Zeit, richtig aufbereitet für die richtigen Menschen – so habe ich Content Strategy für mich definiert. Ist allerdings in der Praxis gar nicht so leicht.
Um so mehr habe ich mich über ein paar gute Anregungen gefreut:
„Will grandma care“
Clay Delk, Content Strategist bei Facebook, hat mich daran erinnert, bei allen Inhalten nicht die emotionale Bedeutung zu vergessen. Zu schnell ist im täglichen Arbeiten Empathie mit der Frage übersetzt „Ist es verständlich“ statt die emotionale Frage zu stellen: „Hat es eine Bedeutung?“
„Know who you are. Then craft your voice. Built a team. Be willing to experiment (and fail)“
Sadia Latifi von Pinterest hat einen spannenden Erfahrungsbericht gegeben, wie sie Pinterest mit ihrem „Writing-Team“ in acht Monaten auf 33 Sprachen adaptiert hat.
Ein Prozess, der nur gelingen konnte, weil das Unternehmen seinen Kern und seine Tonalität genau kennt. Darauf aufbauend, hat das Team einen agilen Prozess entwickelt, um die Pinterest-Persönlichkeit mehrsprachig in Content zu übersetzen. Und sie konnten nicht ahnen, welche sprachlichen und kulturellen Kontexte plötzlich wichtig werden. So musste Pinterest feststellen, dass das of genutzte Verb „to pin“ in mehreren Sprachen sexuelle Konnotationen besitzt.
„Start with the Storytelling. Learn from Games. Create transmedia Storyloops“
Megaspannend fand ich den Vortrag von Michael Schmidtke, Digital Director bei Bosch.
Er skizzierte die strategischen Grundsätze mit denen Bosch 500 Websites, 350 Social Media Kanäle und 200 Apps inhaltlich orchestriert und gewinnbringend in Leads übersetzt.
Immer öfter startet Bosch mit einer medienneutralen, emotionalen Story, überprüft sie auf Spiel-Mechanismen und versucht diese Geschichten dann kanalübergreifend so fesselnd zu erzählen, dass ein Teil des Publikums über die Zeit in Leads konvertiert. Das nennen sie Story-Loops.
Wirklich inspirierend fand ich den Talk von Datenanalyst Jörg Blumtritt. Mit viel Mut zu komplexen Gedanken mahnte er, dass Daten keine Fakten sind, sondern Messwerte und damit Repräsentationen der Wirklichkeit. Daten bekommen erst durch Anordnung, Visualisierung und Interpretation Bedeutung.
Deshalb sollten wir, so Blumentritt, gerade in Zeiten von Big Data nicht mehr von Data Science sondern von Data-Fiction sprechen. Und uns zwingen alle Daten und die Geschichten, die wir mit ihnen konstruieren, kritisch hinterfragen.
Empathie, Agilität, Data-Fiction…das Content Strategy Forum hat meinem Kopf ordentlich Stoff zum Verarbeiten mitgegeben. Allerdings wäre mein Reisebericht nicht komplett ohne die beste Tonalitäts-Guideline, die ich jemals gehört habe. Sie stammt vom Content-Team des 1. FC Köln, das mit der Fan-Kommunikation beauftragt ist.
Sie lautet schlicht:
„Wir wollen nicht klingen wir Pyongyang“
Daran sollte sich nicht nur mein Taxifahrer orientieren.