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Allgemein

Mapping. Scripting. Staging: Der kreative Prozess der Strategie-Entwicklung

By 15. Juni 2023No Comments

„Vertraue dem Prozess“.
Diesen Ratschlag hören Autoren und Künstler immer wieder, wenn der kreative Prozess mal ins Stocken kommt und die Zweifel überhandnehmen. Allerdings finde ich diesen Ratschlag gleichermaßen inspirierend und verwirrend. Inspirierend, weil er Mut macht und zum Durchhalten anregt. Verwirrend, weil nur die dem Prozess wirklich vertrauen können, die mit dem Prozess auch vertraut sind.

Auch die Entwicklung einer Strategie ist ein hochgradig kreativer Prozess. Genauso wie in der Kunst, oder beim Schreiben von Geschichten, gilt auch hier: Wer den Prozess nicht versteht, kann sich nur blind an Schritt-für-Schritt-Anleitungen oder bekannte Strategie-Frameworks klammern.

Das Problem mit Frameworks ohne Prozesswissen

Ein solcher „Malen nach Zahlen – Ansatz“ ist zwar hilfreich, um einen Einstieg in strategische Themen zu bekommen. Gleichzeitig behindert es das Denken, wenn sich ein Team zu sehr auf eine einzige Methodik oder ein einziges Framework verlässt – selbst wenn es sich um eine gehypte Erfolgsmethodik handelt.

Immer wieder habe ich beobachtet, wie Teams aus unterschiedlichen Unternehmen zu ähnlichen Strategie-Ergebnissen kommen, weil sie die gleichen Frameworks nutzen. Warum? Ganz einfach: Jedes strategische Framework lenkt das Denken unterbewusst in eine vorgefertigte Richtung. Schnell passt man die Situation des eigenen Unternehmens an ein bestehendes Framework an und beginnt die feinen Unterschiede zugunsten einer Methodik wegzuwischen.

Zudem rutschen Teams, die lediglich einer Anleitung folgen, schnell in die „Und-nun-Falle“: Das Framework (z. B. ein Business Canvas) ist nach vielen Workshop-Stunden mit Post-it Notizen gefüllt. Das Markendreieck ist ausformuliert. Archetypen sind definiert. Ebenso die SWOT Analyse.

UND NUN? Wie lassen sich diese Ergebnisse ins Handeln überführen? Wie wird anderen, die nicht im Strategieprozess dabei waren, klar, worum es geht und was zu tun ist? Diese Fragen bleiben meist unbeantwortet, wenn sich ein Strategieprozess darauf ausruht, Modelle und Frameworks auszufüllen.

In den vergangenen zehn Jahren hatte ich die Freude und das Privileg, eine Vielzahl von Unternehmen bei der Ausarbeitung ihrer Wachstumsgeschichten und Strategien zu begleiten. Parallel dazu habe ich als Dramaturgie-Berater an der Stoffentwicklung von mehreren TV-Produktionen mitgewirkt.

Aus diesen Erfahrungen habe ich eine Idee abgeleitet, wie der kreative Prozess der Strategieentwicklung übergreifend funktioniert. Es ist eine Prozessidee, die alle strategischen Methodiken und Tools überspannt und allein darauf ausgerichtet ist, strategische Themen kreativ zu strukturieren, zu formulieren und handlungsleitend ins Unternehmen zu tragen. Schließlich muss jede Strategie eines leisten: Sie muss fokussiertes Handeln inspirieren und ermöglichen. Scheitert die Strategie schon an ihrer Verständlichkeit, kann sie nicht umgesetzt werden. So einfach ist das. Strategie ist – zumindest in meinen Augen – die Story, die es ermöglicht, mit Zuversicht und Fokus in die Zukunft zu gehen. Strategie ist sozusagen das „Drehbuch“ des Unternehmensfilms.

Den Prozess dieses „Drehbuch“ zu entwickeln, teile ich in drei Phasen: Mapping, Scripting und Staging.

Jede dieser Phasen ist lose von der Drehbuch-Entwicklung inspiriert und ich möchte diesen Beitrag nutzen, Euch diese Phasen vorzustellen. Bereits seit einigen Jahren hilft mir diese Prozessidee dabei, meinen Projekten eine Metastruktur zu verleihen. Und diese Struktur gibt mir die Freiheit, Frameworks, Tools und Methoden wild zu kombinieren und auf die konkrete Situation in einem Unternehmen anzupassen.

(Kurzer Einschub für Prozess-Profis: Wer sich schon mal mit kreativen Prozessen auseinandergesetzt hat, wird sicherlich Ähnlichkeiten zum Double-Diamant-Modell aus dem Design Thinking erkennen. Auch in dem hier beschriebenen Prozess gibt es das stete Hin und Her von der Öffnung und der Verdichtung des Denkens. Es gibt aber einen Unterschied: Ich lade dazu ein, sich die Verdichtung im Strategieprozess konsequent als eine (im besten Fall aufgeschriebene) Erzählung von der Zukunft vorzustellen.)

Mapping-Phase: Eine Karte des Wissens zeichnen

Die Mapping-Phase ist der Beginn jeder kreativen Reise. Hier werden die Grundsteine gelegt, auf denen später aufgebaut wird. In dieser Phase geht es darum, eine umfassende und strukturierte, mentale Karte des existierenden Wissens zu erstellen. Ziel dieser Phase ist es, gemeinsam im Strategieteam, ein umfassendes Verständnis der aktuellen Situation und der potenziellen Handlungsoptionen zu erkennen.

In dieser Phase werden Wissen, Daten und Ideen visualisiert, diskutiert und organisiert. Es ist die Phase der Workshops, der Post-it Notes und Whiteboards, der Skizzen und Mindmaps. Jedes Detail kann wichtig sein und zu wertvollen Erkenntnissen führen, die die Grundlage für die strategische Ausrichtung bilden.

Es ist auch die Phase, in der die meisten strategischen Tools wie Positionierungsmatrixen, Wardley Maps, SWOT-Analysen oder dem Business Model Canvas zum Einsatz kommen. Jede dieser Techniken dient  dazu, strategische Gedanken zu strukturieren und vereinfacht darzustellen. Das Ergebnis dieser Techniken ist fast immer eine Landkarte des Wissens: Man kartografiert das Wissen – um sich besser orientieren zu können. Daher der Name „Mapping-Phase“

Dabei ist entscheidend für jedes Team herauszufinden, welche Art Karte ihnen hilft, die eigene Situation gut genug zu verstehen, um die nächsten Schritte abzuleiten. Die größte Gefahr dabei ist Perfektionismus. Wer sich vornimmt, eine perfekte Karte zu zeichnen, wird scheitern. Denn eine Karte, die alles perfekt abbildet, ist genauso komplex wie die Realität – und damit keine Orientierungshilfe mehr.

Doch genau in diese Falle führen manche Strategie-Ratgeber und Frameworks. Plötzlich hängen Teams fest, weil sie über Wochen ihren Business-Model-Canvas feilen. Andere drehen unendliche Runden über ihrer Unternehmensvision, ohne die ein klassischer Strategieprozess nicht weitergeht. Egal für welche Tools sich ein Team in dieser Phase entscheidet: Wichtig ist sich auf Ergebnisse zu committen, die  “Good enough to go” sind. Nur dann bewegt sich der Prozess vorwärts in die nächste Phase.

Scripting-Phase: Aus Gedankenpfaden werden Geschichten

Nach der intensiven Auseinandersetzung mit der Materie in der Mapping-Phase folgt nun die Phase des Aufschreibens, die Scripting-Phase. 

Jetzt geht es darum, aus den zahlreichen Informationen und Ideen ein kohärentes Narrativ über das zukünftige Handeln zu erstellen, um andere auf mit auf die Reise zu nehmen.

In der Scripting-Phase werden dafür die handlungsleitenden Insights aus dem Mapping in eine Erzählung überführt, die kausal erklärt, warum, was wie zu tun ist. Bildlich gesprochen, hat die Führungsmannschaft in der ersten Phase aus der Karte einen Kurs abgeleitet.  In dieser Phase gilt es den Kurs so zu formulieren, dass die Mannschaft danach navigieren kann.

In der Realität wird dieser Schritt allerdings oft übersprungen. Das zeigt sich immer dann, wenn Teams ihre Stakeholder mit überlangen Strategiepräsentationen voller Modelle und Schaubilder überrollen.  Statt den abgeleiteten Kurs präzise zu formulieren, hält man seinem Publikum einfach die Karte vor die Nase – mit der impliziten Forderung, diese richtig zu verstehen. Das geht leider meistens schief.

Eine solche Erzählung, ein Strategie-Skript, zu formulieren, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Es ist nicht leicht, die Erkenntnisse so zu verknüpfen, dass sie sowohl verständlich als auch handlungsleitend sind. Aber es lohnt sich: Ein gutes Script wirkt wie ein Kompass, der die Richtung weist, ohne den genauen Weg vorzuschreiben. Es lässt Raum für Flexibilität und Anpassungen, ohne das übergeordnete, geteilte Ziel aus den Augen zu verlieren.

In der Praxis münden Strategie-Narrative meist in ausformulierten One-Pagern. Das Skript fasst dann den Kern und den Geist der strategischen Ausrichtung in aller Kürze zusammen (vergleichbar zu einem Filmexposé oder der Präambel eines Vertrages). 

Ein solches Strategie-Skript zu formulieren und abzustimmen, hat gleich zwei entscheidende Vorteile: 

  1. Ein kurzer Text zwingt ein Leadership-Team zu Genauigkeit und Fokus
  2. Ein geteiltes Narrativ erleichtert es dem Führungsteam, mit einer Stimme zur Organisation zu sprechen.

Dabei spielt das Format keine sonderliche Rolle. Bei Amazon haben sich 6-Seiter für komplexe Themen durchgesetzt und fiktionale Pressemeldungen, um sich zukünftige Produkte vorzustellen. 

Egal, welches Format ein Team am Ende wählt: Entscheidend ist, dass der Text die Essenz der zukünftigen Strategie abbildet. Dann funktioniert er als Leiterzählung für künftiges Handeln.

Staging-Phase: Die Strategie bewusst inszenieren und erzählen

Die finale Phase des kreativen Strategieprozesses bezeichne ich als Staging. In dieser Phase gilt es, das Strategie-Narrativ so einfach wie möglich für die jeweiligen internen und externen Stakeholder:innen aufzubereiten.

In jeder Organisation gibt es unterschiedliche Publikumsgruppen mit unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnissen. Um es ihnen so leicht wie möglich zu machen, einer Strategie zu folgen, ist es so wichtig für Führungskräfte, die richtige Situation und die richtigen Medien zu wählen. Die Inszenierung bestimmt zu einem Großteil darüber, ob die Strategie zum Handeln ermutigt oder auf Ablehnung trifft.  Deshalb ist auch die Auswahl der Kommunikationsmittel von Situation zu Situation unterschiedlich. Mal braucht es nur eine Powerpoint, mal ein Video, mal eine umfassende interne Kommunikationskampagne. In den meisten Fällen ist allerdings das tägliche, direkte Gespräch zwischen Führungskraft und Kollegen entscheidend: In diesen Situationen muss das Strategie-Narrativ sitzen, um die Strategie am Leben zu halten.

Und was ist mit der Umsetzung und Messung der Ergebnisse?

Die hier beschrieben drei Phasen der Strategieentwickelung adressieren nicht die anschließende Umsetzung oder die Erfolgsmessung einer Strategie. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich diese Phasen mit in den Prozess aufnehmen soll. Ich habe mich dagegen entschieden, denn das Machen hat für mich eine andere Qualität als der Denkprozess, der es lediglich inspiriert.

Strategie ist erst mal nur die Geschichte, die zukünftiges Handeln fokussiert und ausrichtet. In den seltensten Fällen definiert eine Strategie jeden Handlungsschritt zu einhundert Prozent. Sobald die Umsetzung startet, kommen neue Impulse, neue Hindernisse, neue Erfahrungen und neues Wissen ins Spiel. Niemals gelingt es einer Strategie, die Komplexität der Welt erfassen. Eigentlich immer sind in der Umsetzung weiterhin Improvisationsgeschick und Anpassungsfähigkeit gefragt. 

Die Ergebnisse des Handelns fließen natürlich wieder in die Mapping-Phase der nächsten Strategie-Iteration. Der Kreislauf schließt sich und erinnert sofort an klassische Strategiemodelle (wie z. B. das OODA-Modell). Allerdings lege ich den Fokus der Strategiearbeit auf die konzeptionelle Ebene, auf das Denken und die Diskussionen, aus der sich die Ausrichtung eines Unternehmens ergibt. Der Fokus liegt auf dem Verständnis der aktuellen Situation, auf dem Ableiten von Handlungsoptionen und auf der Kompetenz, diese verständlich und inspirierend zu erzählen. Denn, nur dann sind Umsetzung und Messung möglich.

Vom Writersroom in den Boardroom

Die hier beschriebenen drei Phasen (Mapping, Scripting und Staging) basieren lose auf der Praxis der Drehbuch-Entwicklung ab, wie sie in Writersrooms rund um den Globus praktiziert wird. 

Im Writersroom wird eine Geschichte zunächst von den Autoren durchdacht und oft mit Karteikarten (oder anderen Werkzeugen) an der Wand kartografiert. Erst wenn sich auf der Landkarte ein roter Faden abzeichnet, werden die Drehbücher geschrieben. Das entspricht der Scripting Phase. Das dabei entstehende Drehbuch, gibt dem Filmteam erst die gemeinsame Arbeitsbasis, um einen Film zu inszenieren.

In der Staging-Phase wird die Story dann inszeniert – mit einem entscheidenden Unterschied: Beim Film ist das Ziel der Erzählung primär die Unterhaltung des Publikums. Bei einer Strategie-Erzählung (wie bei allen Business Erzählungen) ist das Ziel hingegen, das Publikum zum Handeln in die gewünschte Richtung zu inspirieren. 

Schlussgedanken

Die Entwicklung einer Strategie ist ein dynamischer, lebendiger, kreativer Prozess. Er fordert uns heraus und fordert uns auf, zu vertrauen, zu experimentieren und zu lernen. Den Prozess zu kennen und zu wissen, in welcher Phase man sich befindet, erlaubt einem Team, sich freier zu bewegen und neue Möglichkeiten zu entdecken – statt sich krampfhaft an ein Tool, an Frameworks oder starre Prozesse zu klammern.

Auf der Meta-Ebene betrachtet ist der Prozess relativ simpel:
Strategie benötigt eine Karte des Wissens. Strategie benötigt einen Handlungspfad, der gut-genug ist – und der sich vor allem erzählen lässt und andere motiviert, die Reise anzutreten. In der bewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Ausrichtung sowie in der Zuversicht, die ein klar formulierter Pfad mitbringt, liegt die wahre Kraft einer Strategie. Strategie ist die Story, die es möglich macht, loszumarschieren. Was dann genau passiert, kann keine Strategie sicher voraussagen.

Trust the process! 

Menüs enden. Abenteuer beginnen.