Den Purpose eines Unternehmens, einer Marke oder eines Projekts auszuarbeiten, ist mitunter ein zeitaufwendiges und nervenaufreibendes Unterfangen.
Eigentlich alle Teams starten mit dem Ziel, die Bedeutung ihres Handelns über das kommerzielle Interesse hinaus zu verstehen und in Worte zu fassen. Manche Teams verheddern sich jedoch in endlosen Diskussionen und Abstimmungsschleifen. Der Prozess bleibt stecken, erzeugt Frust und mündet in einer tiefen Identitätskrise.
Was jetzt?
Ich habe über die letzten Jahre einige Teams unterstützt, solche Situation zu überwinden und ihren Purpose endlich zu Papier zu bringen. Aus diesen Erfahrungen heraus, teile ich in diesem Blogpost fünf Anregungen, die diesen Teams geholfen haben, wieder in Aktion zu kommen.
Fünf Anregungen, wenn der Purpose-Prozess stockt
1. Druck rausnehmen: Das Schicksal des Unternehmens hängt nicht am Purpose.
Sobald es um das Thema „Purpose“ geht, setzen sich viele Teams heftig unter Druck. Schließlich wird in Vorträgen, Büchern, Videos und Artikeln gerne eine direkte Beziehung zwischen Purpose und Unternehmenserfolg hergestellt.
„Nur wenn dein Unternehmen einen Purpose hat, kann es erfolgreich sein” – Folgt man solchen Narrativen, hängt die Existenz des Unternehmens plötzlich einzig und allein am Purpose. Kein Wunder, dass es Teams dann schwer fällt, sich der Sache mit kreativer Leichtigkeit zu nähern. All die Tools, Golden Circles und Frameworks helfen wenig, wenn der Überlebensdruck die Kreativität abschnürt.
Wenn der Entwicklungsprozess stockt, ist ein guter Moment, um einmal durchzuatmen und Druck rauszunehmen. Die oft beschworene Kausalität von „Purpose und Unternehmenserfolg“ ist vor allem ein Heilsversprechen, das sich gut verkauft. In den meisten Fällen ist sie wissenschaftlich ebenso unbewiesen wie Homöopathie. Es gibt erfolgreiche Unternehmen, die sich nie mit ihrem Purpose beschäftigt haben. Genauso gibt es Unternehmen, die einen tollen Purpose formuliert haben und scheitern. Das Schicksal einer Firma hängt nicht allein am Purpose. Trotzdem lohnt sich die Beschäftigung mit dem Thema:
Am Purpose zu arbeiten, schafft mehr Klarheit über Ziele und Motivationen. Das alleine hat schon einWert in einer abstrakten Arbeitswelt. Als Menschen sehnen wir uns danach, das „Warum“ unseres Handelns zu verstehen und erzählen zu können. Der Grund dafür ist einfach: Unser Gehirn denkt in Geschichten und braucht kausale Zusammenhänge, um sich die Bedeutung der Welt zu erschließen.
Hier ein einfaches Beispiel: Wenn ich sage „Der König ist tot. Er wurde von der Königin erstochen“, habe ich einen Sachverhalt beschrieben. Um diesen Sachverhalt als Zuhörer ganzheitlich zu verstehen, braucht es ein „Warum“. Erst wenn ich es kenne, kann ich die Tat emotional einordnen. Erst dann kann ich Sinn und Zweck der Handlung bewerten und eigenes Verhalten daraus ableiten. Das „Warum“ verändert grundsätzlich, wie ich eine Sache bewerte. Das lässt sich einfach demonstrieren: Sobald sich das „Warum“ ändert, ändert sich auch der Blick auf das Geschehen.
„Der König ist tot. Er wurde von der Königin erstochen, weil er ein grausamer Tyrann war, der sein Volk unterdrückte“
„Der König ist tot. Er wurde von der Königin erstochen, , weil er jede Nacht schrecklich geschnarcht hat“
„Der König ist tot. Er wurde von der Königin erstochen, , weil sie den Thron besteigen will“.
Mit einem ausformulierten Purpose verhält es sich kognitiv genauso. Er befriedigt unser menschliches Bedürfnis nach Kausalität. Daher betrachte ich Purpose vor allem als eine Geschichte, die man bewusst konstruiert, um aktuelles Handeln besser bewerten und zukünftiges Handeln besser ausrichten zu können.
Wir machen Vanille-Eis, weil wir Menschen den Tag versüßen wollen.
Wir machen Vanille-Eis, um zu beweisen, dass es auch ohne Zucker schmeckt.
Wir machen Vanille-Eis, weil unsere Familie das seit 500 Jahren tut.
Allein aus dieser narrativen Funktion heraus, kann ein ausgearbeiteter Purpose, die Wahrscheinlichkeit des Unternehmenserfolgs erhöhen. Ein Team, dass sich über Bedeutung und Ziel des Handelns klar ist und eine ganzheitliche Geschichte über sein Wirken erzählen kann, handelt wahrscheinlich motivierter und zielgerichteter. Darum betrachte ich die Purpose-Story als eine der fünf großen Unternehmenserzählungen, die Führungskräfte parat haben sollten, um Teams auszurichten und ihr Unternehmen auf Kurs zu halten.
Den Purpose zu kennen, hilft, entscheidet aber nicht alleine über den Unternehmenserfolg. Purpose ist ein Baustein im komplexen System eines Unternehmens, dessen Erfolg von vielen Variablen abhängt. Ich rate daher dazu, das Thema „Purpose“ mit einer gesunden Lockerheit anzugehen und nicht zum heiligen Gral der Unternehmensführung zu erklären. Purpose ist eine Geschichte. Sie soll, gemeinsames Handeln erleichtern. Und wenn der Purpose das nicht leistet, schreibt man ihn einfach um. Es gibt also keinen Grund, sich mit der Suche nach dem einen lebensnotwendigen und unveränderlichen Purpose zu quälen.
2. Nicht so sehr auf das Purpose-Statement fokussieren
We bring inspiration and innovation to every athlete in the world. (Nike)
Genau das wollen wir auch! Der eine knackige Satz, der die Essenz des Unternehmens zusammenfasst, ist oft das erklärte Ziel der Purpose-Entwicklung. Neidisch blickt man auf die schicken Formulierungen großer Marken und beginnt aus den Erfolgsbeispielen ein eigenes Statement zusammenzuklauben. Das Ergebnis enthält all die wohlklingenden Wörter wie Inspire, Empower, Democratize oder Disrupt. Trotzdem wird es von Kollegen und Investoren meist mit Kopfschütteln und Unverständnis abgestraft. Ganz einfach, weil der Kontext fehlt.
Purpose-Statements bleiben leere, wohlklingende Worthülsen, wenn mit dem Satz keine Erzählung verbunden ist, die Ausrichtung, Impact und Handeln des Unternehmens mit einem roten Faden verknüpft.
Darum empfehle ich Teams, sich lieber auf die Story hinter dem Statement zu konzentrieren: Welche Ziele und Motivationen leiten das Handeln? Welche Zukunft möchtet ihr gemeinsam gestalten? Welche Veränderung bewirken? Gibt es einen roten Faden der Motivationen, Produkte und Marketing verbindet? Und wie können wir das Kollegen, Investoren und Kunden greifbar machen?
Sobald diese Geschichte auf einer Seite skizziert werden kann (zum Beispiel mit dem Purpose-Story Template), fällt es leichter ein Statement zu formulieren. Im Zweifel geht dann Kürze und Wirksamkeit vor sprachlicher Brillianz. In Workshops lasse ich Teams gemeinsam ihr Statement als Sechs-Wort-Satz erarbeiten. Sobald dieser Satz inhaltlich stimmt, kann man immer noch einen Copywriter bitten, eine brilliantere Formulierung zu finden.
„Wir machen großartige Videos über Produkte“ kann so gesehen ein ebenso wirksames Purpose-Statement sein, wie „Wir befreien die Welt vom Plastikmüll“, oder „We bring inspiration and innovation to every athlete in the world.“
Am Ende ist das Purpose-Statement lediglich eine Eselsbrücke, eine Merkhilfe, für eine Erzählung dahinter. Nur wer diese Erzählung kennt, wird das Statement entsprechend entschlüsseln und danach handeln können.
3. Das Prozess-Ziel überprüfen
Wenn der Entwicklungsprozess stockt, ist ein guter Zeitpunkt zu fragen: „Egal welchen Purpose wir formulieren, was ist danach eigentlich anders?“
Aus meiner Beobachtung heraus, werden Purpose-Prozesse in der Regel mit einem dieser Ziele gestartet:
- Identifikation: Wir möchten, dass sich Kollegen und neue Mitarbeiter (mehr) mit dem Unternehmen identifizieren und den Sinn in ihrer Arbeit erkennen.
- Orientierung: Wir möchten es Kollegen einfacher machen, den gemeinsamen Kurs zu halten und Entscheidungen zu treffen.
- Sozialer/Ökologischer Beitrag: Wir möchten als Unternehmen einen sozialen/ökologischen Beitrag über unser Kerngeschäft hinaus leisten.
- Marketing: Wir möchten zeigen, dass es uns nicht nur um Profit geht und damit attraktiver für Kunden und Konsumenten werden.
- Eitelkeit: Ein modernes Unternehmen, wie unseres, braucht auch ein cooles Purpose-Statement
- Externe Forderung: Investor:innen/Berater:innen/Agenturen fragen nach unserem Purpose. Jetzt müssen wir den formulieren.
Eigentlich immer steht eines dieser Ziele im Vordergrund. Sich wieder an das Kernziel zu erinnern, hilft, den Prozess zum Ende zu bringen. Besonders leicht wird es, wenn die Ziele 4-6 im Vordergrund stehen. Denn dann geht es im Kern darum ein werbliches Zusatzversprechen zu entwickeln – quasi einen Bedeutungszuckerguss. In diesem Fall muss der formulierte Purpose lediglich der Zielgruppe gefallen und die Mitarbeiter nicht abschrecken. Eine solche Entwicklung kann man seiner Werbeagentur überlassen.
Bei den Zielsetzungen 1-3 sieht das anders aus: Hier braucht es die Mitarbeit des Teams, um zu einem wirksamen Ergebnis zu kommen.
4. Zwischen Sinn und Zweck des Unternehmens unterscheiden
Dieser Punkt betrifft vor allem deutschsprachige Teams. Im Englischen hat das Wort „Purpose“ mehrere Bedeutungen. Es kann zugleich Zweck, Sinn oder Bestimmung bedeuten.
In der deutschen Sprache gibt es hingegen einen gewaltigen Bedeutungsunterschied zwischen den Konzepten „Zweck“ und „Sinn“. Zweck ist zielgerichtet, messbar, endlich. Wer den Zweck einer Unternehmung beschreiben will, richtet den Blick nach Außen und beschreibt das Wirken des Unternehmens auf den Kunden. Wer hingegen den „Sinn“ einer Unternehmung sucht, verschiebt das Denken ins philosophische. Sinn-Suche richtet den Blick nach innen. Sie legt den Fokus auf die Beobachtung und Bewertung des Handelns. Das Problem dabei ist, dass philosophische Fragen meist keine eindeutigen Antworten erzeugen.
Der Zweck von Eiscreme ist die süße Erfrischung an heißen Tagen.
Was ist der Sinn von Eiscreme? Genuss? Lebensfreude? Geselligkeit? Frieden stiften? Kinder erfreuen?
Der Zweck eines Unternehmens lässt sich bestimmen. Auf den Sinn muss man sich einigen. Ein guter Bekannter und ebenfalls Berater, hat mir mal gesagt: Sinn-Suche ist für Religionen, Sekten und Philosophen. Nicht für Unternehmen.
Ganz so radikal sehe ich das nicht. Gleichzeitig ich teile seine Beobachtung: Die Frage nach dem Sinn birgt die Gefahr, unendliche Diskussionen loszutreten. Auf der Suche nach dem Unternehmens-Purpose hilft es daher, erst den Zweck zu definieren und dann zu entscheiden, ob man über den tieferen Sinn nachdenken möchte.
In meinen Workshops stelle ich daher immer erst die Frage, welcher Unternehmenszweck im Gesellschaftervertrag festgeschrieben ist – und welchen Zweck man heute reinschreiben würde. Wenn hier eine Veränderung sichtbar wird, lenkt diese bereits den Blick auf den Purpose des Unternehmens.
Un den Teams, die sich über den Zweck hinaus auf Sinn-Suche begeben möchten, empfehle ich dringend den Blick immer nach vorne zu richten. Fragt nicht „Wer sind wir? Welchen Sinn hat unser Unternehmen“. Es wird schwer darauf eine eindeutige Antwort zu finden. Fragt lieber „Wer wollen wir sein? Welchen Sinn wollen wir dem Unternehmen geben?“ Denn nur dann lässt sich die Frage beantworten: Wie kommen wir dahin?
5. Zwischen Gründer:innen-Identität und Unternehmenspurpose unterscheiden
Dieser Punkt betrifft vor allem die Gründer:innen von schnell, wachsenden Unternehmen. In frühen Unternehmensphasen sind ihre persönlichen Motivationen so eng mit dem Unternehmen verwoben, das sie mit dem Unternehmenspurpose eigentlich deckungsgleich sind.
Doch je größer das Unternehmen wird, je mehr Wissen und Erfahrung dazukommen, desto mehr entwickelt die Organisation eine eigene Vorstellung ihrer Bestimmung. Auch Purpose wächst mit und verändert sich – mal mehr, mal weniger. Er bleibt immer mit den ursprünglichen Motivationen der Gründer:innen verbunden und entwickelt sich gleichzeitig weiter. Es ist im Grunde, wie bei Kindern. Kinder entwickeln auch eine eigene, von den Eltern losgelöste und doch verbundene, Identität.
Wenn sich Purpose-Prozesse in gründergeführten Unternehmen festhaken, dann ist es für die Gründer:innen immer hilfreich, den eigenen Purpose von dem des Unternehmens gedanklich zu trennen.
Was treibt mein Handeln an? Was will ich verändern? Was ist meine Bestimmung?
Das sind Fragen, die Gründer:innen an sich richten können, um ihren persönlichen Purpose zu verstehen.
Auf Unternehmensebene müssen diese Fragen anders gestellt werden: Was treibt unser Handeln an? Was wollen wir verändern? Was ist unsere Bestimmung?
Die eigene Identität ein Stück vom Unternehmen zu trennen, erfordert von Gründer:innen, das „geliebte Baby“ loszulassen. Das tut manchmal weh, doch es schafft gleichzeitig Freiraum für neue Ideen. Und wenn die Schnittmenge zwischen eigenem Antrieb und Unternehmenspurpose zu klein wird, ist vielleicht ein guter Zeitpunkt gekommen, die Führung des Unternehmens zu übertragen und ein neues Venture anzugehen.
Am Ende bleibt das Ausarbeiten des Purpose ein kreativer Prozess. Und wie bei allen kreativen Prozessen begegnen einem auch hier Hürden und Blockaden. Um so mehr hoffe ich, dass Euch diese fünf Anregungen helfen, die Perspektive auf den Prozess zu wechseln, Blockaden zu überwinden und euren Purpose zu formulieren.
Genauso gespannt bin ich auf Eure Erfahrungen, wie ihr das Thema „Purpose“ angegangen seit, welche Tools euch geholfen haben – und welche nicht.