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Allgemein

Storytelling Beispiel: Eine Analyse von Bell’s Whisky „The Reader“

By 10. Februar 2014No Comments

Selten hat mich ein TV-Werbespot so gerührt, wie diese Geschichte für Bell Whiskey aus Südafrika. Ich hatte das Gefühl, einen Hollywood Film auf zwei Minuten zu erleben.

„Wow, was macht diese Geschichte so emotional?“, habe ich mich gefragt, mir das Buch „Writing for Emotional Impact“ von Hollywood Drehbuch-Coach Karl Iglesias geschnappt und angefangen die Story und deren Dramaturgie damit zu sezieren.

Writing for Emotional Impact

1. Die Story
Eine gute Story braucht eine starke Idee im Kern. Erst die Idee gibt dem Publikum einen Grund, sich mit der Geschichte zu beschäftigen. Für Inglesias sind zwei Dinge für ein  Story-Idee entscheidend:

„A great idea should be uniquely familiar, and it should promise conflict.“ (Karl Iglesias)

Uniquely familiar bedeutet, die Idee verbindet eine einzigartige Situation mit Emotionen, die wir als Publikum kennen, sofort verstehen und mitfühlen können. Ein alter Mann bringt sich das Lesen bei, um das Buch seines Sohnes zu verstehen. Die Kerngeschichte erfüllt Beides. Lesen lernen im hohen Alter ist eine einzigartige Situation. Auch als Publikum ist uns Lesen lernen nicht fremd. Wir können mitfühlen, wie herausfordernd diese Aufgabe ist. Wie schamvoll das öffentliche Eingeständnis sein muss, nicht Lesen zu können. Am Ende verstehen wir auch sofort den eigentlichen Konflikt: Wie schwierig muss die Beziehung zwischen Vater und Sohn sein – wenn der Vater nicht verstehen kann, was sein Sohn erschafft.

Aus einer Idee wird laut Inglesias erst eine dramatische Geschichte, wenn die Erzählung zumindest diesem Schema folgt:

„You should write it down in bold letters and post it on your bulletin board where you can see it at all the times as you develop your story:
‚SOMEBODY WANTS SOMETHING AN IF HAVING DIFFICULTIES GETTING IT.‘ 
Bottom Line, if your story doesn’t fit these criteria, it can’t be called a dramatic story.“
(Karl Iglesias)

Auf den Spot übertragen: Ein älterer Herr (=Somebody) will das Buch seines Sohnes lesen (=wants something), doch er kann nicht lesen (=has difficulties getting it).? Ok. Diese eiserne Drehbuch-Regel ist erfüllt.

Fehlt nur noch eine essentielle Zutat: Das Thema. Nur wenn eine Geschichte ein klares Thema hat, findet ein Publikum darin eine tiefere Bedeutung.?Inglesias schreibt:

„Because Life is often frustrating, illogical, and chaotic, we turn to stories for meaning and structure. We look for answers and for universal values because we want to know how to lead our lives – how to treat one another, how to love, how to triumph over obstacles. … () Theme is therefore what makes a your story universal, and emotionally significant. Often, the difference between a great script and a mediocre is the depth of its theme. Without theme, a story has little significance. It’s superficial entertainment that leaves the viewer feeling empty.“
(Karl Iglesias)

Ich lese aus dem Spot gleich zwei universelle Themen heraus: Zum einen ist es eine Geschichte über „Hartnäckigkeit“. Zum anderen eine Geschichte über „väterliche Liebe“.

Zu diesen Themen zeigt der Spot, wie die Welt aus Sicht der Autoren funktionieren soll. Der Spot uns moralische Botschaften mit, die weit über das Produkt hinausgehen: Es ist nie zu spät etwas Neues zu lernen. Es gibt kein größeres Geschenk, als sich für jemanden zu verändern. Ehrliches Interesse an seinem Kind, ist die größte Wertschätzung.
Es sind diese Botschaften, die uns als Zuschauer, einen Freiraum geben, um unsere Realität zu hinterfragen und zu wachsen. Aus ihnen nährt sich die Relevanz des Films.

Der Marke geht es dabei um den besonderen Moment der Wertschätzung zwischen Vater uns Sohn. Dieser magische Moment ist es Wert mit einem Bell Whiskey gefeiert zu werden. Das lässt mich das an den alten Satz aus der Asbach Uralt Werbung denken: „Wenn Dir also gutes widerfährt, das ist einen Asbach Uralt wert“.

Da werden Kindheitserinnerungen wach. Nur wenn ich mir beide Spots anschaue, spüre ich sofort was emotionales Storytelling ausmacht.  Obwohl beide Geschichten eine sehr ähnliche Botschaft kommunizieren, bleiben die Geschichten der Asbach Werbung banal. Die Situationen sind ‚familiar‘ aber nicht ‚unique‘. Konflikt gibt es keinen. Das Thema hat keine tiefe. Das mag die Alltäglichkeit des Konsums unterstreichen – hinterlässt aber heute keinen „emotional impact“ mehr.

2. Dramaturgie der Handlung.

Eine Story-Idee bleibt ohne eine auserzählte Handlung nur ein Konzept. Erst die Handlung, der Plot, macht die Geschichte lebendig. Story und Plot zwei unterschiedliche Dinge:

„Story is what the characters want to do. Plot is what the writer wants the Characters to do. As Irwin Blacker once said: „Plot more than a pattern of events; it is the ordering of emotions“
(Karl Iglesias)

Im besten Fall ist die Handlung so arrangiert, dass sie uns von Sekunde zu Sekunde mitzieht. Die Asbach Werbung konnte wahrscheinlich darauf vertrauen, dass sie bei fünf Fernsehkanälen einfach ertragen wurde. Eine Geschichte, die heute gegen Fernsehen, Facebook, iPad… ankommen will, braucht mehr Spannung.

Um seine Spannung zu erreichen, folgt der Spot der klassischen der 3. Akt Dramaturgie eines Hollywood-Spielfilms.

1. Akt: Attraction?

„The first Act serves to set up your story and get it moving, but the key is to grab the reader’s attention and not let it go until the words „Fade out“.
(Karl Iglesias)

Im ersten Akt treffen wir den Helden und sein Ziel.

Im ersten Akt treffen wir den Helden und sein Ziel.

Der erste Akt führt den Helden ein und zeigt das Ereignis, dass die Geschichte in Bewegung setzt – den Inciting Incident. Ein alter Mann kauft ein Lese-Lernbuch. Er steht vor dem Schaufenster einer Buchhandlung, schaut auf das Buch, das er lesen will. Der erste Akt wirft auch die zentrale Frage der Geschichte auf: Wird der Held sein Ziel erreichen? In diesem Fall: Wird der ältere Herr es schaffen, dieses Buch zu lesen? Der erste Akt endet damit, dass sich der Held in sein Abenteuer stürzt. Er überschreitet einen ‚Point of No- Return‘, beginnt etwas Neues, dessen Erfolg ungewiss ist.

2. Akt: Obstacles and Complications

Im 2. Akt erleben wir die Hindernisse, die der Held überwinden muss.

Im 2. Akt erleben wir die Hindernisse, die der Held überwinden muss.

Der zweite Akt ist der längste Teil der Geschichte. Er handelt von den Hindernissen, die der Held überwinden muss. Zeigt uns Rückschläge und Entbehrungen. Und gerade die tragen zur  Spannung bei. Rückschläge und Entbehrungen lassen uns mitfühlen, wie schwer es ist ,das Ziel zu erreichen. In dem Spot blamiert sich der Held beim Scrabble und muss sich immer wieder entscheiden, ob er seiner Frau oder dem Lernen mehr Aufmerksamkeit schenkt.
Am Ende des zweiten Aktes erfährt das Publikum, ob der Held seine Aufgabe gelöst hat oder daran gescheitert ist. Die zentrale Frage wird beantwortet. Der Mann hat das Buch gelesen. Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende.

3. Akt. Satisfaction:

Im dritten Akt muss der Held in einer letzten Herausforderung beweisen, dass er sich verändert hat.

Im dritten Akt muss der Held in einer letzten Herausforderung stellen.

Erst der dritte Akt löst die Geschichte auf. Hier entlädt sich die Spannung. Der Held hat die meisten Konflikte gelöst. Doch einer Prüfung muss er sich noch stellen. Noch einmal alles riskieren. In Actionfilmen tritt der Held seinem Feind Auge in Auge gegenüber. In Beziehungsgeschichten muss sich der Held vor einem geliebten Menschen zu seinen Gefühlen bekennen.
Je unvorhersehbarer die Auflösung der Geschichte, desto höher die Befriedigung beim Publikum. In diesem Spot stellt sich der Vater dem Sohn. Er bekennt, er habe dessen Buch gelesen. Die Reaktion des Sohnes ist uns für einen Bruchteil einer Sekunde unklar. Wie wird er reagieren? Sollten all die Mühen des Vaters umsonst gewesen sein. Will der Sohn überhaupt, dass sein Vater das Buch liest? Wie verletzend wäre es, wenn nicht. Die Spannung ist am Höhepunkt. Dann die Erlösung: Der Sohn ist gerührt über diese Wertschätzung. Und Beide feiern ihre Bindung mit einem Whiskey.

Und nun?
Die emotionale Wirkung des Spots speist sich aus einer Idee, die uniquely familiar ist. Die zeigt einen menschlichen Konflikt und ein Thema. Sie dramaturgisch mit den Mitteln Hollywoods umgesetzt  – und perfekt produziert.

Die zweite Frage, die ich mich nach dem Spot gestellt habe, konnte das Buch allerdings nicht beantworten: Lässt sich diese Story  ohne die Mittel des linearen Films ähnlich gut erzählen? Gibt es interaktive, transmediale Erzählweisen für diese Story?

Ich glaube zwar, dass wirklich große Gefühle lineares Erzählen verlangen.  Doch wenn ich die Kerngeschichte von ihrer Inszenierung (und von diesem Plot) trenne, eröffnen sich ganz andere Erzählweisen. Drei spontane Ideen:

  1. Die Story dient als Aufhänger sein für ein interaktives Spiel zum Lesen lernen: Indem ein Spieler den älteren Herren steuert, bringt sich der User selber das Lesen bei.
  2. Die Story lässt sich als Mitmach-Kampagne in die reale Welt übersetzen: Die Netzgemeinschaft hilft einem älteren Mann Lesen zu lernen, damit er das Buch seines Sohnes lesen kann.
  3. Der Film  läutet ein soziales Engagement der Marke ein: In einer Event-Reihe hilft die Marke echten Menschen beim Lesen lernen und ermöglicht ihnen eine Lesungen in einer Bar. Im Anschluss stoßen Vorleser und Publikum gemeinsam mit Whiskey auf diese Leistung an. Das gefällt mir irgendwie am Besten.

Menüs enden. Abenteuer beginnen.